ELEKTROZEICHNUNG
ELEKTROZEICHNUNG : die basis für ELEKTROZEICHNUNG war eine nebenbei-zeichnung, eine fingerübung in einem photobearbeitungscomputerprogramm. Auf dieser basiszeichnung sind diverse textur- und materialimaginationen zu erkennen, die möglichkeiten des programms, pinsel, bleistift etc. zu simulieren. Weiterhin sind textfragmente, die zeichnung einer sitzenden figur in dreiviertelansicht, sowie eine angedeutete tischfläche und eine, der perspektivvorgabe der figur nicht folgend gezeichnete, fensterartige konstruktion zu erkennen.
Diese binäre bilderzeugungsprobefläche habe ich unter verwendung eines grafiktabletts erstellt. Die arbeitsweise damit gleicht der mausbedienung: du siehst während des tuns auf das, was durch dein handeln entsteht, nicht auf deine hand.

Manipulationen am "nicht-so-perfekten" photo, das vortäuschen einer physischen grundlage für binär codierte bilder oder die stilisierung über tools in künstlernde effekte ("impressionistisch" z.b., damit läßt sich eine bildvorlage bei manchen programmen zu einem elektrisch geknechteten SEURAT hinrechnen, ein ordentlicher biedersinnpointilismus), das ist eine seite des umgangs - und damit rezeptionskontextes - von bildbearbeitungsprogrammen. Jenseits dieser offenkundigen ausrichtung am fake bei der üblichen nutzung ist so ein grafikprogramm ein werkzeug, das dem zeichnen prozesse ermöglicht, die die stoffliche welt in dieser form nicht gestattet.

Das virtuelle wird im allgemeinen als ein ort ohne grenzen, weil scheinbar von physischen begrenzungen nicht berührt, gesehen. Diese konotation resultiert in nicht unerheblichem maß aus der alten dichotomie in geistige und körperliche wirklichkeitszuordnungen, die sich als grenz- und konturlinie auch durch die avantgarden des 20. jahrhunderts zog. Die populären verheissungen, die das 19. jahrhundert noch über ein mechanistisches weltbild erfüllt zu bekommen hoffte, werden zu beginn des 21. mit den, scheinbar unphysischen, virtuellen konstruktionen und vernetzungen der rechnerwelten verknüpft.

Eine konstante dieser utopien ist die idee einer un~endlichen freiheit, un~endlicher möglichkeiten, die idee eines raumes ohne grenzen.

Was in der physischen realität der dampfmaschine längst und allmählich von der physischen realität nicht~unendlicher resourcen frustriert wurde und wird, versucht sich jetzt in den virtuellen unbegrenztheiten unkörperlicher räume zu verwirklichen: raum ohne beschränkung, die option auf grenzenloses wachstum.

Daß die verwirklichung eines gerätes von der begrenzten kompetenz der nutzer abhängt, scheint relikt einer produktionsweise, bei der werkzeug selten "intelligenter", sprich: über den arbeitsprozess informierter war, als die verwender des gerätes.

Besen und Hammer verfügen im allgemeinen nicht über hilfetools oder onlineproduktunterstützung.

Andererseits ist die partizipation und die art der teilnahme an den möglichkeiten des gerätes nach wie vor abhängig von einem primärwissen: bei einem besen mag das wissen des nutzers das ding aus stab und borsten erst zu einem werkzeug werden lassen, in der rechnerwelt ist die begegnung zwischen nutzergeist und werkzeuggeist anders verteilt.

Bekanntlich kann das einzelexemplar : rechner : durchaus "sterben", der geist, sprich die daten und programme, also das, wofür der korpus des rechners nur aufbewahrungs- und erfüllungsort ist, läßt sich, sofern kopiert und gesichert, ohne seinsverlust in einen anderen korpus übertragen. (unsterbbarkeit ist auch so ein alter traum.)

Wie gesagt, bei hammer und besen liegt das funktionswissen beim benutzer; Ein computer besteht dagegen in erster linie aus funktionswissen, das ist sozusagen seine eigentliche gerätewirklichkeit: eine funktion mit austauschbarem korpus.

Wer gelegentlich mal mit alten reisigbesen gefegt hat, weiss, daß die fegequalität da sehr von der ausformung des gerätekörpers abhängt. Ähnlich wie ein pinsel, dasselbe gerät in kleiner und feiner, wird so was auch durch gebrauch immer besser: das funtionswissen manifestiert sich in der gerätegestalt.

Abgesehen einmal von dem aspekt, daß der funktionsumfang in der rechnerwelt in einer weise zunimmt, die bei keinem gerät mechanischer wirklichkeit möglich wäre, und daß die manifestation des funktionswissens im gerät nicht mehr in der hand des nutzers liegt - diesen handlungsspielraum haben programmierer, also funktionsgestalter, deren gestaltunstechnik nicht mit dem gestalten durch gebrauch zu tun hat - scheint in der alltagsbegegnung zwischen rechnerkörper und verwenderkörper der verwenderkörper zum eigentlich verwendeten körper zu werden. Einfacher: das gerät formt den nutzer.

Der reziproke aspekt jeden gestaltens dürfte allgemein als evident anerkannt sein: das zeigt sich schon in der klassisch gängigen benennung einer humanoiden entität aufgrund einer gelderwerbstätigkeit (banker, bauer, banalitätenproduzent.) Daß also das gestaltete den gestaltenden mitformt, bzw. der gestaltende sich über das gestalten auch selbst gestaltet, wird in dieser form nicht auf die rechnerwelt zu übertragen sein. Behaupte ich also: das gerät formt den nutzer, dann ist damit nicht der aspekt der rückeinwirkung auf den humanoiden energieundgestaltgeber gemeint.

Wenn, wie ich weiter oben behauptete, das funktionswissen also nicht durch verwendung in den rechnerkörper gebracht wird, der rechner vielmehr !funktionswissen ist ! dann fällt es mir nicht schwer zu folgern: Wissen formt. Ist das wissen gerät, dann formt das gerät das, was weniger weiss, - und in der regel ist das die position der nutzer eines rechners - zur nutzung des gerätes.

Die selbstgewissheit des nutzers vor dem rechner kann sich meist nur durch vertrauensvoll dreiste unschuld retten. Kann sein, daß der erfolg des computers in einer infantilen kultur (das ist eine zuordnung, keine abwertung!) sich aus dem kindlichen profil ableiten lässt, daß dem nutzer angeboten? abverlangt? wird.

ELEKTROZEICHNUNG funktioniert also innerhalb dieser parameter:

  • ein spielen mit den möglichkeiten des gerätes, in der gewissheit, daß das gerät weniger spuren des spiels aufnimmt, als der spieler.
  • das weitestmögliche - und durch unwissenheit sehr weit mögliche - ignorieren der zielvorgaben, die durch die programmausrichtung gestellt werden. (keine schöngeschminkten photos in ELEKTROZEICHNUNG)
  • das ausloten der illusion eines uneingegrenzten raumes: ausgehend von der basiszeichnung habe ich drei weiterführungen, stellvertretend für eine unendliche anzahl an weiterführungen, gearbeitet.Es ist leicht ersichtlich, daß dieses system ausgebaut werden könnte: so hätte ich jede neuentstandene zeichnung einer reihe wiederum als basis und anlass für eine - im prinzip ebenso unendliche - anzahl an weiterführungen nehmen können, et cetera. (die vorstellung ist tatsächlich verlockend für mich: unendliches zeichnen ohne den raum mit bildträgern vollzustopfen.)
  • die reale person falk nordmann mit ihren begrenzten fähigkeiten, den affinitäten für bestimmte visuelle sensationen, dem persönlichen, beschränkten horizont.
  • der reale gerätekorpus, ein kleines notebook, zugeschustert mit diversen programmen, 32,0 MB arbeitsspeicher, 32 bit virtuellem arbeitsspeicher und zum arbeiten meistens maximal 250 MB freier festplattenspeicher und einem bildbearbeitungsprogramm, das mindestens 180 MB zum arbeiten braucht.
  • der grundgedanke, daß ZEICHNUNG in erster linie geistige konstruktion und erst in zweiter ordnung physische fassbare erscheinung ist.

Zu meiner affinität für narratives/illustratives zeichnen wird es gelegentlich an dieser stelle einen link geben. Da werde ich vermutlich auch über die art meines zeichnens schreiben. Für ELEKTROZEICHNUNG ist hier noch zu erwähnen, daß die web-form dieser arbeit neben der eingangs- und dieser textseite drei seiten mit einem überblick über die drei erarbeiteten weiterführungsreihen, und den, von dort zu erlinkenden, auf bildschirmkompatible größe reduzierten, einzelbildern umfasst. Es ist also möglich, die einzelbilder über das anklicken der miniaturen in der übersicht vergrößert zu betrachten, oder aber sich nach dem öffnen eines einzelbildes (wird in neuem fenster geöffnet) von dort aus über die pfeilpiktogramme durch die arbeit zu klicken.

BERLIN, 08.08.2000